Niederlande

Tag 1

Ich kann ja einen Reiseblog nicht beginnen mit "ich hätt's ja besser wissen müssen", aber ...ich hätt's ja besser wissen müssen...
Hätten mich nicht schon die Zugreisen heimwärts von Triest 2021 oder dieses Jahr von Bozen gelehrt, so weiß ich es immerhin jetzt: Auf den Zug ist nie Verlass!

Heute Abend geht es mit dem Zug nach Amsterdam, nur ein kleiner Kurztrip, mein Herz ruft.

Im 10-Minuten-Takt steigen die Verspätungen, die Zuggesellschafft schickt mir schon die fünfte Mail, dass sich mein Zug verspäten wird. Doch dann, Heureka schallt es über den noch immer 40 Grad heißen Bahnsteig, als der Zug einfährt. Doch sobald wir drin sind, verstummt jeder, weil es überraschenderweise heißer als draußen ist ...bis ein lautes Gezeter beginnt, da es die Zugmitarbeiter nicht geschafft haben, die Reservierungsschildchen anzubringen, dabei hat ihnen doch die "Verzögerung im Arbeitsablauf" wertvolle 62 Minuten geschenkt...
Endlich das Damenabteil bezogen, stelle ich mit den zwei alten Damen und der grantigen Jugendlichen in meinem Abteil fest, dass unsre Abteiltüre hin ist. Jaja, braucht man eh nicht, schon gar nicht in einem eigenen Damenabteil. So wird immerhin ein abgestandener Luftzug vom Gang über meine kraftlose Stirn streichen.
 
Kurz die Schweißperlen im Bad wegtupfen, kaum wieder retour, fehlt mein Polster. Hat doch tatsächlich die alte Dame unter mir...
Diese Zugfahrt beginnt jetzt schon ziemlich heiter. #not


Der nächste Tag


Die Tropennacht nahm ein jähes Ende, als mir die Dame freundlicherweise meinen Polster wieder zurück gab - nämlich mit Wums um 5:50 Uhr ins Gesicht. Das war der Start ihrer langen Ausstiegsprozedur, denn zwei Stunden hatte sie noch bis Köln. Also vertreibt man sich in diesem Alter am besten die Zeit mit Pillen zählen, Inhalieren, Nachrichten ins lautgestellte Telefon zu tippen und - ach ja - da klatschte wieder was auf meinen Arm. Scheinbar gibt es einen Runterfallgurt vom Liegewagen, der ihr beim Frühstück ins Gesicht baumelte. Naja, auch der wurde auf mich entsorgt.


Innerlich wünschte ich ihr, während ich das Ohropax rauskramte, dass ihr der Herrgott umsichtige Weisheit ins Herz planzen möge. Aber irgendwie blieb dieser Wunsch unerfüllt, denn sie beschloss, dass es sich am besten mit offenem Vorhang frühstücken liese. Wäre nicht ganz so tragisch gewesen, hätte sie uns nicht beim Einschlafen belehrt, dass wir mit unsrem Kopf beim Nachtlämpchen liegen mögen, damit wir das große Licht abdrehen können (was zu diesem Zeitpunkt ohnehin dank Smartphones keiner mehr benötigte). Also haben wir alle brav das kleine Lämpchen aufgedreht (ob wir es brauchten oder nicht, sie machte es zufrieden und wir konnten eine gute Tat verbuchen) und uns mit dem Kopf in diese Richtung gelegt... Mein Kopf war dann beim Vorhang zum Gang und immer wenn sie ihn aufzog, wollte die Morgensonne meine Augen um 6Uhr früh wachküssen. Nicht mit mir, wenn ich noch eine Zugfahrt bis mittag auszusitzen hab, also ging der Vorhang wieder zu. Ein langes hin und her. Bis ich dann meine ganze Freundlichkeit zusammenpackte, die um diese Uhrzeit und bei dieser Hitze rar gesät ist und erklärte ihr "Könn ma das bitte jetzt so lassen?!" Dann wars ihr peinlich und das restliche Abteil glückselig.


So anstrengend auch die Zugfahrt war, ein Blick aus dem Fenster ins kühle Grün mit Backsteinhäusern, Schafen & Kühen und ich bin wieder mit Welt versöhnt.