Niederlande

Tag 2 - Aalsmeer

Mein Hotel schaut von außen zuckersüß aus, mit diesen sommerlich gestreiften Rundmarkisen über den großen Fenstern und dem einladenden marmornen Stiegenaufgang. Das dachten sich wohl auch zahlreiche andre Urlauber, denn wir sind voll - oder es hört sich so an. Aber ok, die Italienerin mit dem lauten Organ kann wohl nichts dafür, dass jeder bei ihrem mehrstündigen Telefonat, bei dem sie wie Dogobert Duck Kreise zieht, mitlauschen durfte, wenn die Wände doch so dünn sind, dass man den Nachbarn nebenan husten hört. Auch sonst dürfte in diesem Hotel viel los sein, so kann man das zumindest an den abgewohnten Einrichtungsgegenständen ablesen.


Dass ich aber diesmal um 4 Uhr aufwachte, lag wohl eher an den Möwen und den noch immer feiernden Studenten, die das Ende der El CID (Kennenlernenwoche vor einem neuen Semester) ausklingen lassen. Leiden ist ja eine reine Studentenstadt, wo einfach jeder Student einer Verbindung angehört und das natürlich auch mit Verpflichtungen einhergeht - zum Beispiel gebührend feiern.


Nichtsdestotrotz ist das Bett bequem und ich hab eine ausrollbare Rettungsleiter im Zimmer.


Heut ging's zeitigst zum Bahnhof, um von dort mit Zug und Bus zur Blumenauktion nach Aalsmeer zu fahren. Das ist der größte Handelsplatz von Blumen weltweit. Alle möglichen Pflanzen werden von der ganzen Welt (v.a. Afrika) in die Niederlande gebracht, um sie dann spätestens 1,5 Stunden nach einem erfolgreichen Gebot verladen und im Geschäft zu haben.


Bei den technischen Transportmittel stand ich wieder an. Für alles braucht man Chipkarten oder QR-Codes. Gestern Nacht hab ich es zu Lasten meiner Nerven geschafft, mir wirklich alle QR-Tickets in einer App zu besorgen, natürlich mit einem "Nicht-Chipkarten-Besitzer-Zuschlag" alias "Touristensteuer" von 40 %. Das ein- und auschecken im Zug klappte, im Bus leider nicht trotz bemühter und dann eindringlicher Anleitung des Buschauffeurs. Jeder geht ja davon aus, dass ich aufgrund der Haarfarbe und Größe Niederländerin bin und hält mich dann für dumm, wenn ich was nicht zambring. Sprech dann absichtlich Englisch, damit sie sehen, dass ich nur Touristin und nicht dumm bin 😅. 


Im Zug gings vorbei durch den abgeernteten Bollenstreek. Das sind Felder, wo im Frühling die Schnitt-Tulpen kultiviert werden, um eigentlich das wertvolle, die Zwiebeln, zu gewinnen.

Als ich dann mit dem Bus in der Aalsmeer-Pampa angekommen bin, musste ich feststellen, dass der Fußweg zur Auktionshalle mittlerweile ein Radweg ist (wer geht denn heutzutage noch zu Fuß?!) und mich Google beinhart trotzdem dortdrüber schickte. Und nach ner halben Stunde Fußmarsch, war ich dann um 7.30 Uhr wirklich in der Auktionshalle!


Im Auktionshaus wurde ich von der alten Dame hinter der Kasse für mein Niederländisch gelobt und mit dem Hinweis, alle Erklärungen zur Besichtigung gibts in ner App, in die Halle geschickt. Und wieder war ich über die technische Abhängigkeit hier in den Niederlanden erstaunt.

In der Halle herrschte Gewusel: Menschen, die beim Autodrom-Fahren sicher immer den ersten Platz erreichten, düsten auf ihren Mini-Gefährten in bunten Westen, die ihre Fähigkeit/Arbeitsbereich anzeigten durch die Hallen. Und es duftete. Und es war so schön bunt. Das hätte meiner Mutti sicher auch gefallen!

Aber leider gab es keine Auktion zu sehen...

Am Ende des Rundgangs gabs gratis Kaffee und dann wachte ich erst auf. Von dem Kombiticket ist der zweite Teil gar nicht in der Auktionshalle, sondern im Zentrum von der Stadt. Also marschierte ich motiviert ne Stunde Richtung Centrum, da kein Bus direkt gefahren wäre...

Unterwegs kam ich vorbei an schicken reichen Häusern, direkt am Wasser und einer Theresiakirche. Da musste ich doch reinschauen und schreckte den Pensionistenverein hoch, der in der Kirche frühstückte und mit keinem Besuch gerechnet hatte.


In der Innenstadt wurde der Gehsteig aufgegraben und einfach ein Gesperrt-Zeichen hingestellt. Blöd nur, dass der aufgegrabene Weg der einzige in diese Sackgasse war. Mittlerweile waren mir alle Fußgeherregeln wurscht und ich ging auf der Straße Richtung "Alter Garten"-Museum.

Bei dem Kombiticket war nicht nur die Blumenauktion, sondern auch das Gartenmuseum und eine Bootsrundfahrt mit dabei.

Bevor Niederlande bekannt wurden durch ihren Blumenhandel, war Aalsmeer berühmt für den Erdbeer-Verkauf. Das sieht man bei denen auch auf der Fahne: rot (Erbeeren), grün (Blätter), schwarz (torfige Erde).


Damals wie heute werden manche Pflanzen, wie beispielsweise Flieder oder so ein Gewächs mit Kügelchen, die sich mit der Zeit rot färben und zu Weihnacht beliebt sind, draußen auf den Inseln im Wasser kultiviert und später dann ins Glashaus geholt, damit sie in der Nebensaison austreiben oder es werden im Glashaus Zweige zur Vermehrung abgeschnitten.

Mit so viel Wissen beschäftigte ich mich ganze drei Stunden, bis zur Bootsfahrt.

Als ich beim Glockenschlag aufs Boot hopsen wollte, stellten der Kapitän und ich fest, dass die Dame vom Garten-Museum mir keinen Platz reserviert hatte. Weil er Mitleid mit mir hatte, ließ er mich mitfahren, reingekuschelt zwischen High Society-Agathe und Pensionisten-Mitzi.

Auf dem Wasser schauten wir uns die Inseln der Reichen, der Gärtner und der Kirchen an.  

Auch wenn ich gerade motiviert gewesen wäre noch etwas herumzureisen, schränkte mich mein schwächelnder Handyakku ein, den ich ja noch für Heimfahrt-Tickets brauchte...

Also gings zurück nach Leiden und dort als Seelentröster am Bahnhof ein broodje haring gekauft. Mit den Worten "pass auf, die Möwen sind heute sehr aggressiv" wurde es mir überreicht und keine Minute später flog mir etwas mit voller Wucht gegen meinen Hinterkopf. Eine zweite Möwen-Attacke konnte ich abwehren, seither leide ich aber unter Kopfweh und Verfolgungswahn.

Jetzt gings nicht nur zum Akkuaufladen sondern auch zum Ausruhen ins Hotel, bevor es zum Abendessen ins Pannenkoekenhuis (Palatschinkenhaus) ging, denn dafür sollen sie laut sich berühmt sein.

Hier wohnte Rembrandt, bis sie 1900 sein Haus wegrissen.
Hier wohnte Rembrandt, bis sie 1900 sein Haus wegrissen.

Voll gegessen mit einem Bauern-Pfannkuchen, größer als ein Figlmüller-Schnitzerl und einer süßen Hollandse Waffel ging's kalorienverbrennend zu Fuß durch die Stadt auf Sightseeing-Tour. Einmal den "Leidse Loper" entlang, so der Plan, aber die Beine wurden immer schwerer vom großen Essensbauch und den bereits zurückgelegten 16km heute, also kürzte ich bei der Hälfte ab und schleppte mich zurück ins Hotel, das, wie ich jetzt weiß, in der ältesten und damals auch schönsten Gracht der Niederlande steht, der Rapenburcht.

Beim Spaziergang konnte ich mich nicht zurückhalten und musste in fast alle Wohnungen reinschauen - in den Niederlanden hat man keine Vorhänge. Das geht darauf zurück, dass die calvinistische Denkweise sagt, wer Vorhänge hat, hat was zu verbergen. Also stellt jetzt einfach jeder riesengroße Gemälde oder Pflanzen ins Fenster anstatt der Vorhänge.

Die Studentenverbindungen (Minerva, Quintus, Prometheus, Augustinus, ...) mieten sich wunderschöne große Häuser - hier in der Rapenburcht - und machen so die ganze Stadt zu einem Studentenwohnheim.
Die Studentenverbindungen (Minerva, Quintus, Prometheus, Augustinus, ...) mieten sich wunderschöne große Häuser - hier in der Rapenburcht - und machen so die ganze Stadt zu einem Studentenwohnheim.
Abends ist die Lieblingsbeschäftigung eine Bootsrundfahrt zu machen. Bei Groß und Klein, Familien, Stundenten, Kinder...
Abends ist die Lieblingsbeschäftigung eine Bootsrundfahrt zu machen. Bei Groß und Klein, Familien, Stundenten, Kinder...