Niederlande

Tag 4 - Rotterdam

Um 6:30 Uhr erwische ich doch tatsächlich einen demotivierten Menschen vom "Kunden"-"Service" der Zuggesellschafft, für den diese beiden Begriffe wohl Fremdwörter aus einem anderen Leben sind. Er konnte mir nur sagen, dass ich einen Sitzplatz anstelle eines Liegebettes krieg, wenn ich nicht von der Reise zurücktrete und für alles andre ist er nicht zuständig.


Da kam das Klopfen um 7.30h an der Tür gerade Recht. Als ich die Tür aufmachte, sah ich noch Jan, den BnB-Vater, in seinem Morgenmantel die Stiegen runterhuschen. Frühstück gabs, serviert in einem Korb 🥰

Ich kann dieses BnB-Appartement Aan de Singel nur wärmstens empfehlen!! (Liegt zu Fuß 20min vom Bahnhof, 30min vom Zentrum, gegenüber ist ein Park und ein Fluss, die Gastgeber sind herzlich&nett und das Appartement ist groß und sauber)

Nach dem Frühstück war ich fast wieder etwas mehr versöhnt mit der Welt. Meine BnB-Mama Inge meinte beim Abschied, "verwöhn dich heut den ganzen Tag, wenn am Abend schon nichts klappt" und drückte mich auch nochmal fest. Inge, eine taffe Niederländerin mit perfekt gemachten Haaren, rotem Lippenstift, stylishem Jumpsuit und immer einem Lächeln im Gesicht, hat mich mit Mut in den Tag geschickt. Mit Seelen-Support von meinen Mädels daheim und dem Tipp, ich sollte mich auspowern, startete ich mein Power-Verwöhnprogramm: was passt da besser als eine Sightseeing-Tour 😁


Und ich war stolz auf mich, auf dem Weg zum Treffpunkt hab ich mich kein einziges Mal verlaufen und nein, er war nicht vor der Haustür, sondern 30min Fußweg entfernt.

Begrüßt wurde ich vom Guide Meuwis mit den Worten "Hast du den Economist gelesen"? Und ich drauf "ohja, les ihn jedes Jahr und ziemlich oft sind wir an der Spitze". Dann klärten wir die andren auf, dass Wien wiedermal zur lebenswertesten Stadt der Welt gekührt wurde. Dass sie aber auch auf Platz 1 der unfreundlichsten Städte ist, hab ich dezent verschwiegen. Dann gings los mit der zweistündigen Tour.

Die Markthalle, in der Pixar mit einem riesengroßen Gemälde beauftragt wurde. In der Halle ist ein Fancy Markt, drumherum sind Wohnungen gebaut.
Die Markthalle, in der Pixar mit einem riesengroßen Gemälde beauftragt wurde. In der Halle ist ein Fancy Markt, drumherum sind Wohnungen gebaut.
In Rotterdam bekommt jedes Gebäude einen Spitznamen. Hab beim Ratespiel gewonnen, das Gebäude gegenüber nennt man "Bleistift".
In Rotterdam bekommt jedes Gebäude einen Spitznamen. Hab beim Ratespiel gewonnen, das Gebäude gegenüber nennt man "Bleistift".
Als Rotterdam im Zweiten Weltkrieg zerbombt wurde, blieb diese Kirche bestehen. Um Geld zur Erhaltung zu bekommen, vermieten sie die Kirche für Ausstellungen und Festivals.
Als Rotterdam im Zweiten Weltkrieg zerbombt wurde, blieb diese Kirche bestehen. Um Geld zur Erhaltung zu bekommen, vermieten sie die Kirche für Ausstellungen und Festivals.
Neben dem Rathaus wurde die letzte Befreiungsschlacht der NL im 2.WK geführt.
Neben dem Rathaus wurde die letzte Befreiungsschlacht der NL im 2.WK geführt.
Die Einschusslöcher auf der Rathausseite sind noch immer erhalten, auch die Einschusslöcher der Gemälde im Inneren wurden nicht behoben.
Die Einschusslöcher auf der Rathausseite sind noch immer erhalten, auch die Einschusslöcher der Gemälde im Inneren wurden nicht behoben.
Das älteste Hochhaus der Niederlande überlebte so manches.
Das älteste Hochhaus der Niederlande überlebte so manches.

Unser Guide liebte Ratespiele, nur waren wir nicht so motiviert im Raten. Als er die Gründung der Stadt Rotterdam erklärte und wissen wollte, was man damals über den Fluss Roter gemacht hat, kam keine Antwort. Schließlich erbarmte sich eine Griechin und meinte, na eine Brücke werden sie vielleicht gemacht haben. 

Liebe Leserschaft, es war ein Damm! Sonst wäre es ja Rotterbrücke. Und ab da begriffen wir die Bedeutung von Amsterdam auch gleich, ein Damm über die Amstel.


In den Niederlanden sagt man: In Rotterdam verdient man das Geld, das man in Amsterdam ausgibt und über das man in Den Haag redet.

Ja, Rotterdam hat schon im Wappen stehen "Sterker door strijd" - Stärker durch Hürden (mein Tagesmotto). Und davon hatten sie ja wirklich einige. Mittlerweile ist Rotterdam eine Multikulti-Stadt (52% Immigranten) mit Architektenbauten und Erasmus-Werbung überall. Erasmus hat scheinbar nur vier Jahre in Rotterdam gelebt, aber weil sie auch irgendwas brauchten, auf das sie stolz sein konnten, musste Erasmus herhalten und wird zelebriert. Auch wenn viele gar nicht mehr wissen, wer er war.

Dann sagte unser Guide, er hätte Drogen für uns mit. Die Gesichter von manchen fingen zu leuchten an, die Griechin schimpfte. Dann packte Meuwis Stroopwafels aus - seine Drogen - und erzählte, dass in den Niederlanden der Konsum von Drogen zwar erlaubt ist, aber der Anbau nicht. Also sind die ganzen Coffeeshops auf Privatverkäufer mit eigenen Heimplantagen angewiesen. Diese werden aber jedes Jahr im Winter, sobald der erste Schnee fällt, mit Wärmebildkameras von Polizeihelikoptern ausgehoben.

Zum Anschluss ging's noch zu den Würfelhäusern, die mittlerweile spottbillig sind, weil es keiner aushält, lang darin zu wohnen. Gleich rechnete ich mir aus, wie viele Tage ich das vermieten müsste als BnB, um Gewinn anzusammeln. 😁

Nach so viel Stadtwissen und Rechnerei schleppte ich mich müde in die nächste Buchhandlung, kaufte mir einfache lustige Lektüre und setzte mich in den Park. Auf dem Weg dorthin kamen mir zwei junge Buben auf ihren Tretrollern entgegen. Einer blieb neben mir stehen, streckte mir die Faust entgegen: "Mevrouw, maakt uw een boks" ("Dame, boxen Sie") und ich gab ihm einen Fausschlag, wenn man das so nennt? 😅 


Im Park fand ich ein schönes Bankerl. Vor mir eine Heavy Metal Gruppe am Picknicken, links von mir ein fein rausgeputzter Inder im bunten Nadelstreifsakko, der Dehnübungen machte und rechts jemand, der wohl über das Leben nachdachte. Na da passte ich gut dazu, packte meinen niederländischen Donald Duck aus und begann zu lesen ...bis ich mich entsann, dass ich ja eigentlich besser in Amsterdam lese, wenn ich dort auf den Zug warte. Also alles zamgepackt und zum Bahnhof marschiert.

Gut so, denn dort stellte ich fest, dass aufgrund von Personalmangel einige Züge gestrichen wurden. Am Kartenautomat dann die nächste Herausforderung, nehme ich den schnellen Zug oder den langsamen, der günstiger ist. Schlussendlich kommt dann ohnehin noch ein Euro drauf, für alle, die keine Öffi-Chipkarte haben ... Touristensteuer sag ich nur. Die wissen eben, wie ma Geld macht 

Weil ich extra den langsamen Zug genommen habe, weil ich ja grundsätzlich gern mit Öffis fahr, brauchte ich in Amsterdam nur noch knapp drei Stunden rumbringen. Marschierte also planlos weg von den Menschenmassen irgendwohin und ließ mich im gemütlichen Schanigarten von einem Pub nieder. Endlich kam ich dort zum Mittagessen und zu meinen längst überfälligen Bitterballen. Ach, wie ich diese frittierten Bällchen liebe! Dazu noch ein Amstel, man will ja schließlich regional leben, und dann, weil der kalte Wind immer stärker wurde, noch ein wärmender Tee.

Irgendwann marschierte ich mit Grant, Hilflosigkeit und Planlosigkeit zum Bahnhof und wartete auf den Zug. Als er einfuhr, gab's großen Tumult, die einen fanden den Waggon nicht, andere hatten scheinbar nur ein Ticket und keine Reservierung und konnten nicht mit ...und ich, die nicht 14,5 Stunden sitzend auf einem neu zugewiesenen Platz im Zug verbringen wollte.


Der dritte Schaffner konnte mir endlich sagen, wo ich meinen neuen Sitzplatz finden könne. Er tat mir auch Leid, dass er den Grant aller ausbaden musste. Wahrscheinlich deshalb gab er sich besonders Mühe und erklärte mir jeden Schalter und jeden Knopf in meinem Abteil. 


Und jetzt kommt die gute Nachricht - das Liege-Damen-Abteil wäre nur zu zweit belegt gewesen, d.h., dass ich in diesem 6er-Abteil sogar ganze drei Sitzplätze zum Liegen habe. Leider gibt es weder Decke, noch Polster oder gar ein Frühstück, aber solange ich daheim ankomme...

Spannend bleibt es, ob die Zimmerkollegin, die in Köln zusteigen wird, die alte Dame von der Hinfahrt ist. Das wäre ein zum Schreien heulender Zufall.

Gute Nacht.


Die Nacht verlief gut - von meiner Seite aus. Auch wenn der durchsichtige Sonnenschutz und der leuchtende Lichtkippschalter das Abteil tagesgleich mit Licht durchfluteten.


Die zweite Dame aus Köln war mit der Situation noch nicht so zufrieden. Bis sie alle Habseligkeiten aus ihren drei Rucksäcken in eine Tasche mit lauter lautraschelnden Plastiksackerl verstaut hatte, verging eine Zeit. Dann musste sie wohl festgestellt haben, dass die Temperaturen den Tropen gleichen, denn flugs, lag sie in Unterwäsche, bedeckt mit einem Gewichtshandtuch auf den ranzigen Sitzen. Nach dem nächsten Hitzeschub, der keine Stunde entfernt war, drehte sie den Temperaturregler auf kalt. Scheinbar zu viel für sie, denn keine Stunde später drehte sie den Regler wieder auf Sommer und schlief eingepackt wie eine Mumie mit ausgeborgter Decke von den Schaffnern. Aber immerhin kam sie jetzt zu Ruhe und das stündliche Klogehen hat ein Ende gefunden (Auch wenn ich mich frag, wieso sie eine Decke bekommen hat und ich nicht, als ich gefragt hab. Vielleicht kann sie heute früh noch wegen einem Frühstück fragen und das klappt dann.)

Mit 30min Verspätung passierten wir die österr. Grenze, ich bin daheim. Halleluja 😅